In acht Tagen durch die Brenta
Ein Bericht von Thomas Kobbe
Die Brentagruppe oder „Dolomiti di Brenta“, wie sie in Italien genannt wird, zählt, genau genommen, gar nicht mehr zu den Dolomiten, obwohl sie oft im selben Atemzug genannt wird. Doch dies tut der nördlich des Gardasees gelegenen Schönheit dieser gigantischen Berggruppe natürlich keinen Abbruch. Und genau diese Region der südlichen Kalkalpen hatten wir uns für unsere diesjährige Bergtour vorgenommen. Und, um es vorweg zu nehmen, die gewaltigen Bergmassive Nord-Italiens hauen einen immer wieder aus den Wandersocken. Es gab viel Unerwartetes zu sehen und zu erleben. Und der höchste Gipfel der Brenta, die Cima Tosa (3.173 m), lächelte uns nicht nur von unten entgegen.
Wir, das ist ein kleine, eingeschworene Gruppe von Freunden, welche nach dem Studium damit begonnen haben, ihre jährlichen Treffen mindestens einmal im Jahr in die Berge zu verlegen. Zwar teilt sich die Gruppe in Schinder- und (Bier-)Blümchen-Team, damit auch jeder seiner Kondition entsprechend ausgelastet ist, doch bleiben wir natürlich weitestgehend zusammen. In diesem August 2008 waren wir insgesamt zu fünft, neu dabei Carsten und Steffen.
Karten und Bücher
Alpenvereinskarte Nr. 51 „Brentagruppe“ 1: 25.000
Kompass-Karte Nr. 073 „Dolomiti di Brenta“ 1: 30.000
Rother Klettersteigführer „Dolomiten – Brenta – Gardasee“ ISBN 978-3-7633-3096-6
Rother Wanderführer „Brenta“ ISBN 978-3-7633-4181-8
1. Tag – Rifugio Tuckett (2.271 m)
Am Samstag vor der letzten August-Woche, reisen wir aus München kommend in strömendem Regen an. Der Stau auf dem Brenner nervt ohne Ende. Weil ein Parkplatz nicht mehr zu kommen scheint und wir es nicht mehr aushalten, halten wir auf dem Standstreifen, stehen zu fünft am Zaun und kümmern uns um das Wohl der kommenden Wein-Saison, auch wenn wir dabei selbst klitschnass werden.
Endlich unsere Abfahrt erreichend, setzen wir unseren Plan um, eines der beiden Autos in Molveno stehen zu lassen. Nördlich des malerischen Molveno-Sees gibt es genügend Möglichkeiten dazu. Denn wir wissen noch nicht genau, wohin uns unsere Wochen-Tour letztendlich führen wird. Schließlich ist das auch vom Wetter abhängig. Doch glücklicherweise hört der Regen auf und lässt sich den ganzen Urlaub hinüber nicht mehr blicken.
Jetzt geht es weiter nach Madonna di Campiglio und zum gebührenpflichtigen Parkplatz an der Malga Vallesinella di sotto, wo wir endlich aus dem ja nun sehr eng gewordenen zweiten Auto platzen können. Hier beginnt also unser Urlaub und der Aufstieg über die Casinei- zur Tuckett-Hütte, welche wir erst sehr spät erreichen. Der Auftakt von 760 Höhenmetern stellt zwar keine große Schwierigkeit dar, ist aber nicht von jedem Büro-Drehstuhl-Arbeiter konditionell so schnell zu schaffen. Wir bleiben natürlich zusammen. Und zum Glück bekommen wir noch unser Essen und können uns anschließend, nicht ohne uns über die ungewohnten Toiletten zu wundern, in welchen man wirklich alles im Stehen macht, endlich die Decke über den Kopf ziehen. Eine Kopf-Lampe oder Ähnliches ist übrigens sehr empfehlenswert, da man ansonsten nach Stromabschaltung kaum sein unverschlossenes Gruppen-Zimmer findet. Und dass das Wasser zum Waschen, welches über Zuleitungen von Gletscherwasser gespeist wird, ordentlich kalt ist, braucht eigentlich nicht erwähnt zu werden.
2. Tag – Cima Falkner (2.988 m)
Wie imposant die Tuckett-Hütte gelegen ist, sehen wir erst bei Tageslicht so richtig. Und nach dem dürftigsten Frühstück unserer gesamten Tour geht es endlich los. Wir wollten hinein in die berühmten Klettersteige der „Via delle Bocchette“, deren nördlichsten Teil wir mit dieser Tagestour erreichen werden. Es beginnt mit dem schattigen Weg Nr. 316 zur Grosté-Lift-Station. Bis hier her ist das schon sehr schön anzusehen, auch die westlich gelegenen Berge und Gletscher.
Doch erst mit dem Blick, welcher sich auf dem Bergrücken ankommend in alle Richtungen bietet, wird uns die spektakuläre Fernsicht bewusst. Das Panorama auf der 305 in Richtung Cima Grosté verschlägt uns den Atem. Solche gewaltigen Felsformationen, -schichten und -platten haben wir noch nie gesehen. Kein Vergleich mit den uns bekannten Alpen. Hier dürfen wir dann auch endlich unsere Klettersteig-Ausrüstung anlegen und uns breit grinsend in die Stahlseile einklinken. Für Carsten und Steffen ist es das erste Mal, was ein Grund mehr ist, noch zusammen zu bleiben, auch wenn Dirk bereits mit einem Abstecher auf die Cima Grosté liebäugelt. Das Klinken klappt dann aber bei allen sehr gut, bei schönstem Sonnenschein und ohne Höhenängste. Es ist noch ausreichend Zeit, so dass Dirk und ich uns dann doch noch von der Gruppe trennen und auf die Cima Falkner krabbeln, eine leichte Kletterei, schätzungsweise der Schwierigkeit I bis II nach UIAA. Der Aussicht und des kindlichen Kletterspaßes wegen ist dies auch eine absolute Empfehlung. Jedoch kann man den Einstieg, wo wir auch unsere Rucksäcke deponieren, sehr leicht übersehen.
Wieder an der Tuckett-Hütte angekommen, tauschen wir begeisterte Blicke und Eindrücke aus, genießen die letzten Sonnenstrahlen und isotonische Getränke
3. Tag – Rifugio Alimonta (2.591 m)
Für heute steht der erste Hütten-Wechsel auf dem Programm, was heißt, mit Sack und Pack und dem Gedanken daran, warum ich überhaupt die Steigeisen mitschleppe, weiterzuziehen. Zunächst bergab die 328, dann vorbei an der Brentei-Hütte (2.182 m), welche keinen schöneren Standort haben könnte. Hinter ihr ragt die Cima Tosa, der höchste Gipfel der gesamten Brenta empor. Und von hier aus ist sie ideal zu sehen, die 900 m hohe und sehr steile „Schwarze Schlucht“, die längste Eisrinne der Ostalpen.
Verrückt, aber sie ist tatsächlich schon mit Ski und Snowboard befahren worden.
Also weiter zur Alimonta-Hütte. Und bitte mal genau hinschauen, auf den schuttigen Boden. Denn gerade in dieser Gegend sind recht häufig Fossilien-Abdrücke im Kalkgestein zu finden, was einem wieder bewusst macht, dass einst alles einmal eine Unterwasserlandschaft gewesen ist. Es ist schon seltsam, solch ein Relikt zu sehen, eine Schnecke, welche vor Millionen von Jahren lebte, dann im Gestein begraben war, und deren Abdruck ich dann einfach so in der Hand halte.
Endlich an der Alimonta-Hütte, unserem Lagerplatz für die nächsten zweit Tage, angekommen, sind die Vorteile der privaten Bewirtschaftung sofort sichtbar. Sie ist in einem Top-Zustand, und soll uns zum Abend noch mit einer warmen Dusche verwöhnen. Die Toiletten sind hier übrigens wieder ganz „normal“. Doch noch ist es zu früh am Tag, als dass wir uns jetzt schon auf die faule Haut legen. Wir entscheiden uns für getrennte Tagestouren. Das Blümchen-Team geht hinauf zu einer kleinen Runde entlang der 323 und 305, vorbei an der Cima Molveno. Dirk und ich begeben uns dagegen auf eine wesentlich längere Tour, deren Weg uns erst kurz hinab und dann den Detassis-Weg, die 396, wieder über ein sehr unangenehmes Geröllfeld nach oben führt. Hier kommen wieder Erinnerungen an Christian hoch, welcher sich vor zwei Jahren in so einem harmlos erscheinenden Weg aus Schutt und Geröll schwer verletzte. Der konzentrierte Aufstieg über die vielen Eisenleitern, welche hier kurzzeitig auch etwas überhängend scheinen, lässt dies dann aber schnell vergessen. Trotz der durchziehenden Brenta-Nebel bleibt die Aussicht und das Klettergefühl atemberaubend. Noch bevor wir diesen traumhaft schönen Eisenweg über viele Scharten (= Bocchette) weiter steigen, treffen wir überraschenderweise auf das zweite Team, welches nun unseren Weg entlang zurück zur Hütte geht.
Für uns geht es weiter auf dem zentralen Klettersteig in Richtung Norden, auf der 305 vorbei an der Cima Brenta (3.151 m). Und dann, westlich auf der 303, sind wir wieder in Sichtweite der Tuckett-Hütte. Erst jetzt wird mir bewusst, was für eine Hammer-Tour wir uns hier aufgebürdet haben und dass wir es bis zum Abendessen vielleicht nicht mehr schaffen werden. Der SOSAT-Klettersteig, auf welchem wir zu dieser fortgeschrittenen Uhrzeit keinen einzigen Klettersteig-Geher mehr antreffen, ist allerdings absolut lohnend und mit seinen Leitern, Klammern und Bügeln überaus abwechslungsreich. Zudem ist die zerklüftete Landschaft wie von einer anderen Welt. Und dann entlang einer Felswand, glauben wir unseren Augen nicht zu trauen. So etwas haben wir beide noch nie in freier Natur gesehen, ein Edelweiß. Und nicht nur eines. Von dieser seltenen Pflanze, dem Wahrzeichen der Alpen, ist hier eine kleine Wiese voll zu finden. Dankbar für diese Entdeckung schleppen wir uns oberhalb der Brentei-Hütte zurück zu unserer Alimonta-Hütte, welche nur mit jedem zweiten Schritt wirklich näher zu kommen scheint. Knapp vor Küchenschluss bekommen wir noch unser Essen. Aber mehr, als diese herrlich salzige Eiersuppe bekomme ich kaum hinunter. Wir sind völlig erschöpft, meisterten dafür aber unsere anstrengendste Tages-Tour.
Und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen. So einen klaren Sternenhimmel habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Fernab von Autos und Städten, frisch geduscht, dick angezogen und auf den Steinen liegend genießen wir die unendlichen Weiten unserer Milchstraße und fühlen uns, fernab kleinkarierter Probleme und Sorgen, ein bisschen unbedeutender, als sonst.
4. Tag – Via delle Bocchette Centrali
Von der Alimonta-Hütte geht es heute wieder hinauf auf den kleinen Sfulmini-Gletscher, dorthin, wo gestern noch unsere zweite Gruppe ihre Tour startete. Der steile Aufstieg entlang der Leitern am frei stehenden Felsvorsprung gibt einen Vorgeschmack auf das Kommende. Denn wir gehen gemeinsam südlich auf der 305 den zentralen Bocchette-Weg entlang in Richtung der Pedrotti-Hütte. Diese Tour durch das Zentralmassiv der Brenta, durch schwindelerregend hohe Felsbänder, zählt zu den absoluten
Höhepunkten der Klettersteig-Tour. Naja, genau genommen eine multiple Erfahrung, haben wir dieses Prädikat letztendlich doch mehrfach vergeben.
Als wir dann zu guter Letzt am 300 m hohen Felsturm, dem Campanile Basso (auch Guglia di Brenta genannt), vorbei kommen, können wir Kletterer sehen und hören. Denn diese gigantische Felsnadel ist der bekannteste Klettergipfel der Brenta. Das anschließende Felsband um die Cima Brenta Alta bleibt aber nicht minder beeindruckend. An einer Stelle rutscht Carsten auf allen Vieren über ein am Fels befestigtes Brett. An der Pedrotti-Hütte werden wir noch am morgigen Tag vorbei kommen. Also lassen wir sie links liegen und steigen hinab die 318 (Sentiero Arnaldo Bogani) entlang zur Brentei- und wieder hinauf zur Alimonta-Hütte.
Den Rest des Tages verbringen wir damit, unsere Steigeisen und Grödel am Gletscher auszuprobieren. Dabei sehen wir auch, dass gleich in der Nähe der Hütte einige Kinder an einem Felsklotz das Klettern im Top-Rope üben. Denn dort wurden, sicherlich im Auftrag des Hüttenwirts, mehrere Abseil-Ösen angebracht. Klar, das macht die Hütte attraktiver. Gut gelaunt, probieren wir das später auch. Zwar haben wir keine Kletterschuhe dabei, dafür aber ein eigenes Seil. Und noch bevor sich jeder daran ausprobiert, wird es dunkel, was uns aber den Spaß nicht nimmt. Wofür gibt es Kopf-Lampen?
5. Tag – Rifugio Silvio Agostini (2.410 m)
In einer besseren, als der Alimonta-Hütte werden wir wohl kaum noch nächtigen. Und die unverhofften Geschenke des Hüttenwirts, für jeden eine Flasche Alimonta-Likör, machen den Abschied nicht gerade leichter. Carsten weiß noch nicht so recht, ob er sich über diese unerwartete Gewichts-Zunahme in seinem Rucksack freuen soll. Na klar doch, sagen wir und ziehen froh gesinnt weiter, und zwar zur Agostini-Hütte. Ein sehr weiter Weg von hier aus, der schon am Abend zuvor beim Blick auf die Karte für kurzes Augen-Rollen und einen weiteren Wein-Krug sorgte.
Aber wir lassen es ruhig angehen, traben also hinab zur Brentei-Hütte, um dann, vorbei an einer kleinen Herde Gämsen, die 318 wieder hinauf zur Scharte zu laufen. Von hier aus sehen wir auch schon die Pedrotti-Hütte (2.483 m) im Nebel auftauchen, vor der wir eine ordentliche Pause genießen. Einer von uns (nein, ich schreib jetzt nicht, wer) versorgt seine Nase und seine Lippen derartig dick und weiß mit Creme, dass uns „Nasenbär“ als ein durchaus angebrachter Spitzname erscheint. Auf der 320, dem Palmieri-Weg, geht es nun weiter. Und nach endlosen Serpentinen, mal bergauf, mal bergab, erreichen wir endlich, endlich die Agostini-Hütte. Nett, wie Stechi nun einmal ist, rennt er sogar noch einmal ein ganzes Stück zurück, um dem Nasen-Bären seinen Rucksack abzunehmen.
Nebenbei bemerkt, ist die Agostini-Hütte, eine Alpenvereins-Hütte, ein echtes Schmuckstück und idealer Ausgangspunkt für Kletterer, welche sich in den umstehenden Wänden ihrem Hobby hingeben. Auch hier gibt es vor der Tür einen kleinen Übungsfelsen. Und es bleiben keinerlei Wünsche offen.
In der Hütte lesen wir auf einem Flyer, dass ganz in der Nähe eine Eisgrotte sein muss, die Grotta Silvia. Der 10-minütige Weg zu ihr ist allerdings nirgendwo eingezeichnet. Der Hüttenwirt schickt uns südlich entlang des Berghanges. Und nachdem wir uns im aufziehenden Nebel zur Suche aufteilen, finden wir tatsächlich den kleinen, aber gut beschilderten Einstieg. Dieser verweist auch auf das unbedingte Tragen von Steigeisen. Aber Grödel, welche fast alle von uns im Gepäck haben, tun es auch. Das Innere der Grotte ist fast nur kriechend zu erreichen, zeigt sich dann aber mit Eis-Stalagmiten in seiner ganzen Pracht. Wer hätte gedacht, dass uns unsere diesjährige Wandertour auch in eine Eisgrotte führt?
6. Tag – Cima Tosa (3.173 m)
Heute ist der große Tag. Es ist zwar eine Klettersteig- und Wanderwoche, aber Dirk und ich haben das Seil natürlich in der Hoffnung mitgenommen, es auch zu benutzen. Die Cima Tosa, der höchste Brenta-Gipfel soll angeblich nicht sehr schwer zu besteigen sein. Nach Studium der großen Wandkarte im Essens- und Gemeinschaftsraum der Hütte und nach einem Gespräch mit dem Hüttenwirt, steht unsere Route fest. Es geht aufwärts in Richtung Norden über Geröll, Schnee und Eis hinweg, auf welchem sich die Steigeisen überaus positiv bemerkbar machen.
Linkshaltend gehen wir den Klettersteig hinauf zur Scharte, was für sich schon ein kleines Abenteuer ist. Oben angekommen auf der „Bocca di Ambiez“ gibt es nur eine kurze Pause mit Sichtung der möglichen Kletterwege. Eine recht fröhlich gestimmte italienische Wandergruppe, mit welcher wir uns bis hier her ein kleines Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten, macht sich bereits an den gesicherten Aufstieg. Deren Vorsteiger ist bereits mit dem Seil unterwegs, während wir uns für eine Stelle entscheiden, an welcher es eindeutig in die richtige Richtung gehen muss. Entlang des Stahlseiles ist ein Stein zu finden, auf welchem in Schwarz ein nach oben gerichteter Pfeil und die Aufschrift „Via Migotti Cima Tosa“ zu lesen ist. Dirk voran klettern wir, die Italiener hinter uns lassend, los, ungesichert und überaus aufmerksam. Das Wetter ist optimal, der Fels sehr griffig und absolut kletterbar. Und die Kletterei entspricht hier vielleicht einer III nach UIAA. Daher entscheiden wir uns für diese Variante, das Seil im Rucksack zu lassen. Nur ist die Höhe, in welche wir uns hier frei kletternd bewegen, absolut respekt-einflößend. Nach Überwindung der ersten Wandpassage wird es leichter. Und es sind die ersten Steintürmchen und roten Punkte zu finden, welche von unten kommend aber nur selten erkennbar sind. Die Markierungen wurden wohl eher für Kletterer gemacht, welche hier bergab und nicht bergauf steigen. Dennoch werden wir beide am Ende des Tages diese Besteigungs-Variante als absolut passend empfinden. Die schwierigste Stelle, die erste Wandpassage, sollte der Sicherheit wegen aber besser doch mit einem (ausgepackten) Seil begangen werden.
Die Kletterei macht immens viel Spaß, gerade auch wegen der Naturbelassenheit. Von Leitern, Seilen und Tritten fehlt hier jede Spur. Dirk pirscht sich von Absatz zu Absatz und trifft mit seinem Gespür dabei immer den richtigen Weg. Knapp eine Stunde nach unserem Einstieg stehen wir auf dem Gipfel inmitten von Schneedünen, Gletschereis und Geröll. Ein wirklicher Gipfel ist nicht auszumachen, handelt es sich doch eher um ein riesiges Plateau. Wir laufen bis zur Madonnen-Statue und genießen die Aussicht mit Blick zur winzig kleinen Brentei-Hütte und der atemberaubend steilen Eisrinne. Absolut irre, wer sich hier durch die stark steinschlaggefährdete Rutschbahn nach oben pickeln möchte. Man muss schon ein bisschen hin- und herlaufen, um einen wirklichen Rundumblick zu bekommen. Und noch ist uns absolut unklar, wo es hier wieder hinunter geht. Also machen wir unsere wohlverdiente Mittagspause. Wenig später kommen unüberhörbar unsere Italiener. Wir helfen beim Fotografieren und sie uns beim Finden des Abstiegs. In unserer Kompass-Karte lässt sich der richtige Weg in Richtung Osten grob erkennen. Aber hier oben gibt es keinerlei Hinweise darauf. Wir bleiben mit der Gruppe zusammen, welche diesen Weg zwar schon mehrmals gegangen ist, aber dennoch leichte Probleme hat, ihn zu finden. Dann sind endlich Steintürmchen zu sehen, und es geht eine kleine Ewigkeit Stufe um Stufe nach unten. Dann kommt sie endlich, die einzige kurze Abseil-Stelle, von welcher wir schon gelesen haben. Die überaus lauten und wild durcheinander plappernden Italiener bringen uns zum Schmunzeln. Aus der Abseil-Aktion wird eine kleine Familien-Zeremonie. Und schließlich dürfen wir uns auch mit ihrem Seil hinunter lassen. Hier ist auch die Gedenktafel zu sehen, einer der Anhaltspunkte, wenn man von dieser Seite auf den Berg hinauf möchte. Wir bedanken uns und trennen uns von der lustigen Gruppe, die nun in eine andere Richtung weiterzieht.
Bevor wir auf der 358 zurück zur Hütte gehen, machen wir noch einen kurzen Abstecher zum weit nach Osten ragenden Plateau, welches eigentlich nur die Sella della Tosa sein kann. Von hier aus hat man einen herrlichen Panorama-Blick in den östlichen Talkessel und die dahinter liegenden Gipfel, mitten drin der Campanile Basso. Auch sehen wir von hier sehr gut die massive Wand, an welcher wir hinunter gekommen sind und können es noch immer kaum glauben. Denn so leicht begehbar sieht sie nun gar nicht mehr aus. Eine Story für sich, ist das Quaken, dass wir hier während unseres Nickerchens hören und welches vom Fuße der Cima Tosa zu kommen scheint. Ein Frosch in einer Steinhöhle, in dieser Höhe? Der Beginn der Legende der Brenta-Kröte?
Auf dem Rückweg geht es noch über eine leicht demolierte, dafür aber umso spannendere Brücke. Und in der Agostini-Hütte angekommen, sind wir wieder alle beisammen und genießen den frisch gebackenen Kuchen. Damit es für keinen langweilig wird, plant das zweite Team für morgen die Runde zu unserem schönen Aussichtspunkt und dann weiter über die 320b zurück zur Hütte zu gehen. Dirk und ich möchten dagegen in die Spuren ihrer heutigen Tour zur 12-Apostel-Hütte stapfen. Ein kleiner Tausch also.
7. Tag – Rifugio XII Apostoli (2.489 m)
Unsere letzte Tagestour, ein kleiner Genuss zum Abschluss, führt uns die 321 entlang zur Scharte „Bocchetta Due Denti“, welche fast ausschließlich über steile Leitern zu erreichen ist. Das am Einstieg liegende, völlig demolierte Leitern-Stück gibt in etwa einen Eindruck, von den Steinschlägen, mit welchen hier im Frühjahr bei beginnender Schneeschmelze zu rechnen ist. Nach dem Abstieg aus der Scharte treffen wir auf Engländer, die uns vor Steinschlägen warnen, welche wir inzwischen schon bemerkt haben.
Sie werden von Gämsen losgetreten, welche weiter oben mitten in der Wand herum turnen. Unglaublich, wie sie dort hinauf gekommen sind und dass sie dort überhaupt etwas Nahrhaftes finden. Eine halbe Stunde später erreichen wir die 12-Apostel-Hütte. Von hier aus sehen wir die weiter oben in den Berg geschlagene Kapelle und daneben zwei Kletterer, die anscheinend heute noch höher hinaus wollen. Nach einer gemütlichen Pause in der Sonne, besuchen wir die Kapelle und lesen die vielen Namen der in den Bergen Verstorbenen, unter denen auch einige Deutsche sind. Zwar geschahen die meisten dieser Unfälle anscheinend im Winter. Aber es ruft uns wieder einmal in Erinnerung, trotz des Glücksgefühls, in dieser rauen Bergwelt immer wachsam zu bleiben.
Auf der 304 geht es nun zur Scharte. Und hier, am vorletzten Tag, beim Übergang zur nächsten Scharte „Bocca di Ambiez“ benötigen wir dann doch zwingend unsere Steigeisen und Grödel, um über den Gletscher zu kommen, welcher hier auch sichtbare Spalten aufweist. Und obwohl wir die nun kommenden Wege bzw. Klettersteige bereits kennen, verlieren sie kein bisschen an Spannung. Da diese Umrundung viel zu schnell zu Ende wäre, gehen wir noch einmal zu unserem Aussichtspunkt vom Vortag hinauf und genießen ein letztes Mal das herrliche Brenta-Panorama. Verträumt denken wir an die vergangenen Tage. Und am Abend in der Agostini-Hütte begießen wir bei gutem Essen alle gemeinsam unsere Freundschaft.
8. Tag – Rifugio Casinei (1.825 m)
Zwar wäre von der Agostini-Hütte auch gut unser am Molveno-See geparktes Auto erreichbar gewesen. Doch entscheiden wir uns für den längeren Weg zurück zu unserem Startpunkt, mitten durch die Brenta, eine Landschaft, die uns inzwischen sehr ans Herz gewachsen ist. Wir wandern auf der 320 zur Pedrotti-Hütte, dann weiter zur Brentei-Hütte und machen noch ein letztes Mal eine ausgiebige Pause inmitten malerischer Felswände.
Und nachdem wir eine Woche lang in einer Höhe von weit über 2.000 Metern verweilt haben, beginnt unser Abstieg ins Tal, die 391 entlang zur Casinei-Hütte. Die Luft wird merklich dicker und schwüler. Die Hitze, welche sicher die ganze Zeit hinüber da war, aber nicht so weit nach oben drang, drückt jetzt auf uns nieder. Und der Marsch scheint endlos. Doch an der Casinei-Hütte haben wir es dann geschafft. Hier verbringen wir eine letzte Nacht im großen Betten-Lager unter dem Dach und wünschen uns, vor Carsten eingeschlafen zu sein, der jetzt den ganzen Wald um die Hütte herum abzusägen scheint.
Noch bevor es wieder hell wird, verlassen wir auf leisen Sohlen und zusammen mit einer tschechischen Wandergruppe die Hütte. Kurze Zeit später nehmen wir die Kopf-Lampen ab und erreichen unser Auto.
Übrig bleiben, wie immer, viele schöne Erinnerungen an eine einzigartige Tour. Keine ist wie die andere. Und sie zusammen mit Freunden zu erleben, zählt zweifellos zu den wertvollen Dingen im Leben.