Rennsteiglauf 2020
Von wegen ausgefallen, er fand gleich 3 x statt
16. Mai 2020, heute ist es endlich soweit! Rennsteiglauf!
Wie schon in den Vorjahren stehe ich gemeinsam mit meinem Laufreund Mirko Löbel an der Startlinie des Supermarathons, 73,9 km nach Schmiedefeld liegen vor uns. Aber halt, hier stimmt etwas nicht! Denn in diesem Jahr ist alles anders: die 48. Auflage dieses Kultlaufes ist, wie viele andere Laufveranstaltungen, der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen.
Doch die Klasse des Rennsteiglaufes und seiner Organisatoren wird auch in diesen Tagen einmal mehr deutlich. Denn anstatt den Kopf in den Sand zu stecken ist die Aktion RENNSTEIGLÄUFERatHOME ins Leben gerufen worden.
Und so stehen wir diesmal nicht auf dem Marktplatz in Eisenach, sondern im beschaulichen Spreewalddörfchen Schlepzig, knapp 74 km von unserem Tagesziel in Cottbus entfernt. Wir singen kurz das Rennsteiglied an, jubeln laut: „Rennsteiglauf“ und sind auf der Strecke.
Vor 39 Jahren, am 23. Mai 1981 war ich das erste Mal beim Rennsteiglauf unterwegs. Das Wort Ultralauf gab es noch nicht und der heutige Supermarathon war damals einfach „der Lange“. Mit meinem Lauf- und Schulfreund Steffen Große waren wir auf den 75er aufmerksam geworden, hatten uns gefragt, wie sowas wohl durchzustehen sei und im jugendlichen Übermut gesagt: das probieren wir mal, nur einmal, das reicht!
Unser Plan war (gedacht) genial: wir nutzen unsere Schnelligkeit aus dem damaligen Wettkampfsport, laufen immer schnelle 5 km, machen dann eine Pause, wieder 5 km usw.
Lässig hatten wir nach den ersten 20 km am Wegrand gesessen und den Kopf geschüttelt, wie die anderen da schnaufen … Ja, auch ich lache heute darüber und schüttele jetzt den Kopf über so viel Dummheit. Denn schon bald waren wir erschöpft und kamen nur noch schleppend voran.
Heute, beim Rennsteiglauf 2020, der nicht auf dem Rennsteig stattfindet, sieht es anders aus. Wir laufen vom ersten Kilometer an ein ruhiges genüssliches Tempo, jubeln nach 25 km auf dem Spreedamm, der heute der Große Inselsberg ist, feiern in Burg/Spreewald den VP Ebertswiese als Halbzeit und später beim Örtchen Werben km 55, den Grenzadler.
Den hatten wir 1981 unter Schmerzen erreicht. Hier gab es damals ein Zwischenlager für das Gepäck: Kleidungswechsel, ein Foto, und dann, oje, noch mehr als 20 km! 1 Std. 15 min war unsere normale Laufzeit über diese Distanz im üblichen Wettkampfsport, 2 Std. 30 min sollte es an diesem Tag noch dauern. Überwiegend nur noch im Gehschritt, selbst ein Wanderer hat uns überholt, ging es über den Großen Beerberg.
Was für ein denkwürdiger Punkt, der höchste bei diesem Lauf. Schnee, Regen, Gewitter, Hitze, Nebel, einfach alles habe ich in meinen Rennsteigjahren hier oben erlebt und ganz ehrlich, das war auch in den verschlissenen Baumwollklamotten und durchgelatschten Laufschuhen von einst zu ertragen gewesen.
Auch diesen Höhepunkt bei ca. km 62 feiern wir in diesem Jahr, reißen die Arme hoch, jubeln und sind noch immer fit. Das liegt nicht zuletzt an unserem großartigen mobilen Verpflegungspunkt, vierzehnmal steht Almuth an der Strecke, fast immer dort, wo im Original ein VP gewesen wäre. Immer wieder dudelt das Rennsteiglied, wenn wir unsere Brote, Schokolade, Bananen und, natürlich, Haferschleim essen. Der gehört schon immer zum Rennsteiglauf, ist eine der Konstanten dieses Events, auch wenn er auf dem Rennsteig an jedem VP anders schmeckt.
Anderes hat sich in den Jahren geändert. Mal war der Lauf 75 km lang, dann 66, 1999 sogar 76,2, nun sind es 73,9. Der Startplatz war vom Grenzstein Wilde Sau auf die Hohe Sonne und schließlich auf den Marktplatz Eisenach verlegt worden. Aber in meiner Zeit gab es nur ein Ziel: das schönste Ziel der Welt, Schmiedefeld!
Das hatten wir 1981 nach 10:31 Std. anstatt der geplanten 7:30 Std. erreicht und waren völlig fertig! Aber neben der Erschöpfung und den Muskel- und Gelenkschmerzen war da noch etwas: ein wahnsinniges Glücksgefühl! Was war das für ein Abenteuer! Das machen wir doch nochmal, wenigstens noch ein einziges Mal!
So kamen die Jahre 1982, 1983 … und schließlich 2020. Mein 40. Langer oder eben Supermarathon in Folge stand auf dem Plan.
Aber mit 2020 kam auch etwas, was weder die DDR-Sportführung noch die politische Wende in Deutschland noch ein anderes Ereignis geschafft hatten – ein kleines unberechenbares Virus hat das gesellschaftliche Leben und damit auch den Rennsteiglauf zum Stehen, Erliegen, Ausfallen gebracht. Ich hatte Tränen in den Augen, als das Video mit der unvermeidlichen und völlig verständlichen Absage veröffentlicht worden ist, auch wenn zu diesem Zeitpunkt aufgrund meiner Erkrankung noch gar nicht klar war, ob ich überhaupt laufen könnte.
Als RENNSTEIGLÄUFERatHOME erreiche ich zusammen mit Mirko nach ca. 11:30 Std. unser 2020er Ziel, in großen Lettern aus Kreide steht quer über die Straße geschrieben „Schmiedefeld“.
Man, was war das für ein toller Tag!
Auch wenn es nicht der originale Rennsteiglauf war, wir hatten unser persönliches Rennsteig-Feeling; wir hatten dem Kultlauf die Treue gehalten!
Und ich bin, wenn auch noch immer mit dem einen und anderen Handicap, zurück im Ultralaufsport!
Nachsatz:
Am Abend des 16. Mai 2020 sitzen wir nicht im Festzelt, sondern mit einem Bier auf der Treppe und lassen den Tag Revue passieren. Schade, dass es schon wieder vorbei ist. Wieso eigentlich vorbei? Geht die Aktion nicht bis zum 7. Juni? Mensch, da könnten wir doch auch noch den Marathon laufen, und den Halbmarathon …
Wir lachen und stoßen an – auf den GutsMuths-Rennsteiglauf!
Und laufen dann tatsächlich am 27. Mai nach Feierabend den Halbmarathon und am 1. Juni bei brütender Hitze den gefühlt verdammt harten Marathon.
Damit hat uns das Jahr 2020 etwas gebracht, was sonst nicht geht – alle drei großen Laufstrecken des Rennsteiglaufs bei einem Event, ein Rennsteiglauf-Triple.
Aber damit soll es dann bitte auch sein Bewenden haben – denn tatsächlich wollen wir etwas anderes: den originalen Rennsteiglauf!